Kulturelle Aneignung

Deutsche Karnevalisten in Verkleidungen, welche die traditionelle Bekleidung verschiedener Prärie-Indianer imitieren (2017)
Namibische Frauen in viktorianischen Kleidern

Kulturelle Aneignung (englisch cultural appropriation) bezeichnet die Übernahme von Ausdrucksformen oder Artefakten, Geschichte und Wissensformen von Trägern einer anderen Kultur oder kulturellen Identität. Im wissenschaftlichen Austausch ist der Begriff neutral und bekommt erst im konkreten Zusammenhang eine positive oder negative Konnotation (etwa Ausbeutung oder Bereicherung). Die Beurteilung ist häufig schwierig und gelingt nur unter Berücksichtigung der Motivation der Aneignenden: Sind Machtausübung, kommerzielle Interessen oder Diskriminierung die tieferen Beweggründe oder handelt es sich um unreflektierte (etwa romantisch-naive), wohlmeinende oder gar anerkennende Übernahmen?[1]

In einem engeren Sinn wird als „kulturelle Aneignung“ angesehen, wenn Träger einer „dominanteren Kultur“ Kulturelemente einer „Minderheitskultur“ übernehmen und sie „ohne Genehmigung, Anerkennung oder Entschädigung“ in einen anderen Kontext stellen.[2] Die ethische Dimension kultureller Aneignung wird in der Regel nur dann thematisiert, wenn die übernommenen Kulturelemente einer Minderheit angehören, die als sozial, politisch, wirtschaftlich oder militärisch benachteiligt gilt.[3][4][5]

In der öffentlichen Diskussion wird vor allem die enge, negativ konnotierte Begriffsauslegung im Sinne eines Vorwurfs verwendet: Dabei geht es in der Regel darum, Menschen das Recht abzusprechen, sich bestimmter Ausdrucksformen anderer Kulturen für ihre Zwecke zu bedienen. Häufig gehören die Kritiker nicht zur „betroffenen“ Kultur und es ist unbekannt oder strittig, wie jene die Aneignung bewerten. Oft steht hinter solchen Vorwürfen ein sehr statisches Verständnis von Kultur, das die Realität der vielfältigen kulturellen Anpassungsprozesse ignoriert.[1][6]

Kritiker des Konzepts geben zu bedenken, dass sich Kulturen gegenseitig beeinflussen und diese Dynamiken bei einer kompromisslosen, negativen Verwendung des Konzepts übermäßig stigmatisiert würden. Einige Kritik am Konzept sieht darin identitätspolitische Tendenzen.

  1. a b Kulturelle Aneignung im Glossar der schweizerischen Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, 2022, unter Mitarbeit von Darja Pisetzki, Projektmitarbeiterin der GRA, Online abgerufen am 29. Juli 2023.
  2. Vgl. Irini Stamatoudi: Research Handbook on Intellectual Property and Cultural Heritage. Edward Elgar Publishing, 2022, S. 161.
  3. Adrienne Keene: But Why Can’t I Wear a Hipster Headdress? at Native Appropriations – Examining Representations of Indigenous Peoples. 27. April 2010
  4. Kjerstin Johnson: Don't Mess Up When You Dress Up: Cultural Appropriation and Costumes. In: bitchmedia. 25. Oktober 2011, archiviert vom Original am 29. Juni 2015; abgerufen am 15. September 2020 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/bitchmagazine.org
  5. Eden Caceda: Our cultures are not your costumes. In: the Sydney Morning Herald. 14. November 2014, abgerufen am 15. September 2020 (englisch).
  6. Jens Kastner: Popkultur-Debatte - Was ist kulturelle Aneignung? In: Deutschlandfunk. 15. Oktober 2017, abgerufen am 29. Juli 2020.

Developed by StudentB