Kulturelle Aneignung (englisch cultural appropriation) bezeichnet die Übernahme von Ausdrucksformen oder Artefakten, Geschichte und Wissensformen von Trägern einer anderen Kultur oder kulturellen Identität. Im wissenschaftlichen Austausch ist der Begriff neutral und bekommt erst im konkreten Zusammenhang eine positive oder negative Konnotation (etwa Ausbeutung oder Bereicherung). Die Beurteilung ist häufig schwierig und gelingt nur unter Berücksichtigung der Motivation der Aneignenden: Sind Machtausübung, kommerzielle Interessen oder Diskriminierung die tieferen Beweggründe oder handelt es sich um unreflektierte (etwa romantisch-naive), wohlmeinende oder gar anerkennende Übernahmen?[1]
In einem engeren Sinn wird als „kulturelle Aneignung“ angesehen, wenn Träger einer „dominanteren Kultur“ Kulturelemente einer „Minderheitskultur“ übernehmen und sie „ohne Genehmigung, Anerkennung oder Entschädigung“ in einen anderen Kontext stellen.[2] Die ethische Dimension kultureller Aneignung wird in der Regel nur dann thematisiert, wenn die übernommenen Kulturelemente einer Minderheit angehören, die als sozial, politisch, wirtschaftlich oder militärisch benachteiligt gilt.[3][4][5]
In der öffentlichen Diskussion wird vor allem die enge, negativ konnotierte Begriffsauslegung im Sinne eines Vorwurfs verwendet: Dabei geht es in der Regel darum, Menschen das Recht abzusprechen, sich bestimmter Ausdrucksformen anderer Kulturen für ihre Zwecke zu bedienen. Häufig gehören die Kritiker nicht zur „betroffenen“ Kultur und es ist unbekannt oder strittig, wie jene die Aneignung bewerten. Oft steht hinter solchen Vorwürfen ein sehr statisches Verständnis von Kultur, das die Realität der vielfältigen kulturellen Anpassungsprozesse ignoriert.[1][6]
Kritiker des Konzepts geben zu bedenken, dass sich Kulturen gegenseitig beeinflussen und diese Dynamiken bei einer kompromisslosen, negativen Verwendung des Konzepts übermäßig stigmatisiert würden. Einige Kritik am Konzept sieht darin identitätspolitische Tendenzen.